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figure humainekammerchor
Kerstin Mörk,Klavier
Denis Rouger,Leitung
15.03.2025:
MutterhauskircheWürzburg (LiedFestival Würzburg)
30.03.2025:
14:30Uhr Familienkonzert / 18 Uhr Konzert; Mozartsaal, Liederhalle Stuttgart
29.08.2025:
Châteaude Tannay - Tannay (CH) – im Rahmen des Festival "Variations musicales deTannay"
19.10.2025:
StadtkircheWeingarten – im Rahmen der Weingartener Musiktage
Georges Bizet (1838-1875)
Gabriel Fauré (1845-1924)
Reinaldo Hahn (1874-1947)
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Peter Cornelius (1824-1874)
Fanny Hensel (1805-1847)
Hugo Wolf (1860-1903)
Wilhelm Berger (1861-1911)
Rudolf Mauersberger (1889-1971)
Charles Gounod (1818-1893)
Henri Duparc (1848-1933)
Chansond’avril (Erstaufführung) *
Chant d’amour(Erstaufführung) *
Adieux de l’hôtessearabe *
Ma vie a son secret(Erstaufführung) *
Lachanson du pêcheur *
Après un rêve *
Les berceaux *
La nuit
L’obscurité
Pleurez avec moi
Gardez le trait
Soiréeen mer *
Nocturne*
Chanson à boire *
In Lust und Schmerzen *
Sei mein *
Neue Liebe, neues Leben
Bergeslust
Traum
Verborgenheit*
Müde, das Lebensboot weiterzu steuern
Wie liegt die Stadt sowüst
L’Absent *
Mignon *
L’invitationau voyage
La vie antérieure
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Georges Bizet (1838-1875)
Chansond’avril (Erstaufführung) *
Chant d’amour(Erstaufführung) *
Adieux de l’hôtessearabe *
Ma vie a son secret(Erstaufführung) *
Gabriel Fauré (1845-1924)
Lachanson du pêcheur *
Après un rêve *
Les berceaux *
Reinaldo Hahn (1874-1947)
La nuit
L’obscurité
Pleurez avec moi
Gardez le trait
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Soiréeen mer *
Nocturne*
Chanson à boire *
Peter Cornelius (1824-1874)
In Lust und Schmerzen *
Sei mein *
Fanny Hensel (1805-1847)
Neue Liebe, neues Leben
Bergeslust
Traum
Hugo Wolf (1860-1903)
Verborgenheit*
Wilhelm Berger (1861-1911)
Müde, das Lebensboot weiterzu steuern
Rudolf Mauersberger (1889-1971)
Wie liegt die Stadt sowüst
Charles Gounod (1818-1893)
L’Absent *
Mignon *
Henri Duparc (1848-1933)
L’invitationau voyage
La vie antérieure
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Welches ist das Geheimnis in meinemLeben? Werde ich es jemals mit einer anderen Person teilen? Oder verberge iches bis an mein Lebensende? Ich würde das Leben eines Menschen womöglichschlagartig verändern, würde ich ihm sagen, was ich in meinem Innerstenzurückhalte. Sei es ein besonderer Wunsch für jemanden, eine verborgeneLeidenschaft, von der niemand erfahren darf, oder die nie gestandene Liebe zumeinem Gegenüber. Die Lyrik der Romantik lebt davon, die Dinge verschleiert,undurchsichtig, mysteriös darzustellen und genau das reizt uns an ihr bisheute.
Besonders die Texte der Kunstlieder GeorgesBizets, die Sie heute erstmals in Bearbeitung für Chor und Klavier hören,bergen am Ende immer ein Geheimnis. Was möchte das lyrische Ich im Chansond’avril wohl von seiner Liebe erzählen? Was geschah in der gesegnetenStunde, an die das lyrische Ich in Chant d’amour auffordert, sich zuerinnern? Und was hält den Jüngling in Adieux de l’hôtesse arabe davonab, zu seinen Verehrerinnen zurückzukehren? Versetzt man sich in die Lage desErzählers in Ma vie a son secret – Mein Leben hat sein Geheimnis, kannman kaum dem Drang widerstehen, zu fragen, was ihn dazu bewegt, seinerGeliebten niemals seine Liebe zu gestehen.
Georges Bizet, dessen 150. Todestag wir 2025gedenken, nutzt – im Gegensatz zu Fauré oder Saint-Saëns – prägnante undzuweilen opernhaft anmutende Mittel, um den Gehalt der Gedichte in seinenKunstliedern musikalisch umzusetzen, wie beispielsweise die immerwiederkehrende Kadenz der Frauenstimmen in Chant d’amour oder dasträumerische Zwischenspiel des Klaviers in Ma vie a son secret, das aneine romantische Opernszene erinnern könnte.
Die vier weltlichen Gesänge von Reynaldo Hahnzeichnen in spätromantischer Klangsprache sentimentale und nachdenklicheBilder. Hahn hat zu seiner Zeit durch sein reiches kompositorisches Schaffenvon Bühnenwerken sowie Ballettmusik aber auch zahlreichen Kunstliedern undKompositionen in vielen anderen Gattungen die Musiklandschaft Frankreichs maßgeblichgeprägt und ist dort noch heute sehr bekannt und hoch geschätzt. Außerdemerfreute er sich großer Beliebtheit, wenn er – und das tat er häufig – in den PariserSalons sang und sich dabei selbst am Klavier begleitete.
Der Spezialität des figure humainekammerchor – deutsche und französische Kunstlieder der Romantik,bearbeitet für Chor und Klavier von Denis Rouger – wird im zweiten Teil desProgramms ein gewichtiges Werk der Spätromantik gegenübergestellt, bei dem derreine a cappella-Klang von figure humaine zur Geltung kommt: Müde,das Lebensboot weiter zu steuern von Wilhelm Berger. Voller Traurigkeitwendet sich das erzählende Ich direkt an die Verstorbenen, die ihm in den Todvorausgegangen sind und klagt darüber, dass es alleine in Not und Leidzurückbleibe. Die Fassungslosigkeit, die uns plagt, wenn wir von einemgeliebten Menschen Abschied nehmen müssen, lässt sich in Bergers Musik schiermit Händen greifen. Umso erlösender ist die Wirkung des Perspektivwechsels, dersich am Ende des Stückes vollzieht; nicht die Ratlosigkeit und die Verzweiflungüber den Tod stehen am Ende des Lebens, sondern – wie es das allesüberstrahlende Geheimnis des Christentums prophezeit – die Hoffnung auf dieAuferstehung der Toten: Glaube an ein Wiederseh’n, dulde und schweige.
Die beiden Lieder L’invitation au voyage undLa vie antérieure von Henri Duparc, deren Texte aus der Feder des großenfranzösischen Lyrikers Charles Baudelaire stammen, schlagen den Bogen zurückzur geheimnisvollen Stimmung der Romantik. Duparc, der nur 17Liedkompositionen hinterlassen hat, vertont die Texte auf seine intime Art undWeise und schöpft die Vielschichtigkeit der Texte musikalisch voll aus. Dabeibleibt, ob nur in der Nuance einer Metapher oder mit konkretem Bezug, die Endlichkeitunseres irdischen Lebens und die damit verbundene Frage nach dem Jenseitsomnipräsent. Unsere Vergänglichkeit ist es, die es zulässt, Geheimnisse fürimmer zu verbergen und sie mit in den Tod zu nehmen. Welches ist das Geheimnisin meinem Leben? Werde ich es jemals mit einer anderen Person teilen?
Florian Wolf
figure humaine kammerchor
Denis Rouger, Leitung
20.09.2024: Stiftskirche Stuttgart (Stunde der Kirchenmusik)
22.09.2024: Pauluskirche Heidenheim an der Brenz
13.10.2024: Stadtkirche Murrhardt
Philippe Mazé (*1954)
Gabriel Fauré (1845-1924)
Wilhelm Berger (1861-1911)
Robert Schumann (1810-1856)
Philippe Mazé
* Bearbeitung für fünfstimmigen Chor a cappella Denis Rouger
Messe brève à double choeur à Thaïs :
1. Kyrie
2. Gloria
3. Sanctus
4. Agnus Dei
Ave verum *
En prière *
Trost der Nacht Op. 25/6
Von ferne klingen Glocken Op. 103/3
Die Capelle am Strande
Die Capelle Op. 69/6
Am Bodensee Op. 59/2
An die Sterne Op. 141
Trois Choeurs mystiques :
1. Hymne
2. Cantique des Créatures (UA)
3. Prière
Aus „Trois psaumes de David“:
Psaume 8 (Andante – Toccata – Andante) (UA)
Philippe Mazé (*1954)
Messe brève à double choeur à Thaïs :
1. Kyrie
2. Gloria
3. Sanctus
4. Agnus Dei
Gabriel Fauré (1845-1924)
Ave verum *
En prière *
Wilhelm Berger (1861-1911)
Trost der Nacht Op. 25/6
Von ferne klingen Glocken Op. 103/3
Die Capelle am Strande
Robert Schumann (1810-1856)
Die Capelle Op. 69/6
Am Bodensee Op. 59/2
An die Sterne Op. 141
Philippe Mazé
Trois Choeurs mystiques :
1. Hymne
2. Cantique des Créatures (UA)
3. Prière
Aus „Trois psaumes de David“: Psaume 8 (Andante – Toccata – Andante) (UA)
* Bearbeitung für fünfstimmigen Chor a cappella Denis Rouger
Die Vokalmusik des französischen Komponisten Philippe Mazé [mazˈe] (*1954) ist von liturgischen, biblischen oder auch poetischen Texten inspiriert. Mazé gehört keiner strengen kompositorischen Strömung an. Seine Werke sind mal sehr zugänglich für das Ohr, mal musikalisch etwas provozierend, stets jedoch das Ergebnis einer Introspektion und eines ständigen Hinterfragens. Aus der langjährigen Freundschaft zwischen Philippe Mazé und Denis Rouger entstand eine langfristige künstlerische Zusammenarbeit zwischen den Sänger:innen des figure humaine kammerchor und einem der interessantesten französischen Komponisten für Vokalmusik unserer Zeit. Der Chor hat mehrere seiner Werke aufgeführt, wie auch heute Abend das Cantique des Créatures und die Vertonung des 8. Psalms.
Die Messe à double choeur, die den Abend eröffnet, widmete der Komponist seiner Patentochter Thaïs. Die Messe wurde im Sommer 2024 vom figure humaine kammerchor zum ersten Mal eingespielt, zusammen mit weiteren Werken des Komponisten. Die CD wird im Juni 2025 erhältlich sein (Coviello Classics/SWR).
Das geistliche Kunstlied En prière von Gabriel Fauré (dessen Todestag sich dieses Jahr zum 100. Mal jährt) spricht den Wunsch nach der Begegnung mit Gott aus: nach oben gerichtete Arpeggien scheinen das Gebet zum Himmel zu tragen, und als die betende Person verspricht, das Leben für Gott zu geben, verbinden sich „Mensch“ und „Gott“ mit zwei entgegenkommenden Linien in dramatisch gewichtigen Vierteln. Denis Rouger hat dieses schlichte, fast kindische Lied für Chor a cappella bearbeitet, genauso wie das Ave verum, in dem die begleitende Orgelstimme in einen Chor verwandelt wurde.
Die Nacht kann erschreckend wirken, oder auch Trost bringen. Man denke an bekannte, beruhigende Abendlieder, die den Tod als unendlichen Schlaf und Ruhe darstellen. So auch Trost der Nacht von Wilhelm Berger, in dem die Nacht das Leiden mildert und ewigen Frieden bringt. Ebenso doppeldeutig kann Glockengeläut sein: fröhlich oder düster, leise oder laut. Glockengeläut verbindet – oder wie in Wilhelm Bergers Die Capelle am Strande „versöhnt“ – immer wieder die Erde mit dem Himmel: so hört später bei Schumann ein Hirtenknabe in Uhlands Gedicht Die Capelle die Beerdigungsglocken der Wurmlinger Kapelle (die sich bei Tübingen befindet) und unterbricht sein frohes, verträumtes Lied, weil das Läuten auch ihm seine Vergänglichkeit zuflüstert. Schumann verwebt Leben und Tod, die so nah beieinanderliegen wie Traum und Erwachen, in einem Doppelkanon. Glockenklänge nehmen uns in Bergers Von ferne klingen Glocken in traumhafte Welten mit: in beeindruckenden Harmoniefolgen lädt die Musik von Berger ein, die Flügel auszubreiten, vom Waldesodem zu trinken und dann über Tal und Höhen zu fliegen.
Nach der intimen Capelle ist Schumanns Am Bodensee ein dynamischer, meist homophoner Aufruf. In der ersten Strophe setzt ein Liebender die Segel, angezogen vom Abenteuer, dennoch voller Hoffnung auf eine glückliche Rückkehr zu seiner Liebsten. Doch in der zweiten Strophe wird leider klar, dass sie nicht auf ihn gewartet hat… Robert Schumann – dessen Werke Fauré stark geprägt hatten – lässt in An die Sterne nicht nur zwei Chöre aufeinandertreffen, sondern „Welten“. Eben an die Sterne richtet sich die Sehnsucht nach einem fernen, besseren Leben: herabschauende Geister tauchen unvermittelt in den einzelnen Stimmen der beiden Chöre auf, nachdem zuvor ein weiter Nachthimmel homophon aufgespannt wurde.
Drei mystische Chöre und ein Psalm: mit diesen Werken von Philippe Mazé für Chor und ggf. Solopassagen für Bariton endet dieses Programm. Das Cantique des créatures, ein Lobgesang auf Gott und auf seine Schöpfung, auf die vier Elemente sowie auf die menschliche Güte, wird heute uraufgeführt. Die häufige Homophonie wie auch die Dialoge zwischen Frauen- und Männerchor erinnern an die liturgische Inspiration Philippe Mazés, doch beinhaltet der Chorsatz auch klangliche und harmonische Schätze sowie solistische Einsätze des Stuttgarter Baritons Georg Benz. Mit den beiden Werken Hymne und Prière erreicht das Vertrauen in Gott seinen Höhepunkt. Zu keiner Sekunde wird das göttliche Wesen, seine Größe und Barmherzigkeit in Frage gestellt. Sogar das Leid selbst rückt in den Hintergrund, denn das Vertrauen ist so groß, dass die Erlösung unweigerlich kommt. Die schöpferische Kraft des Menschen ist bei Mazé gegenwärtig. Angetrieben von dem ureigenen Vertrauen macht sich der Mensch in Prière zu Maria auf, um bei ihr Trost und Schutz zu suchen. Der abschließende Psalm 8 wurde den Sänger:innen des figure humaine kammerchor sowie Christiane und Denis Rouger gewidmet. Wir dürfen uns auf ein intensives Stück mit klanglichen und rhythmischen Höhepunkten freuen.
Autorin: Isabelle Métrope / figure humaine kammerchor
figure humaine kammerchor
Stuttgarter Posaunen Consort (Leitung: Prof. Henning Wiegräbe)
Hyelin Lee, Orgel
Denis Rouger, Leitung
15.06.2024:
Evangelische Kirche Maikammer (Neustädter Orgelsommer)
16.06.2024:
Gaisburger Kirche Stuttgart
Anton Bruckner (1824-1896)
Moritz Hauptmann (1848-1933)
Philippe Mazé (*1954)
Axel Ruoff (*1957)
Jan Müller-Wieland (*1966)
Anton Bruckner
Aequale Nr. 1 (3 Posaunen)
Ave Maria (Chor a cappella)
Afferentur regi (Chor und 3
Posaunen)
Kantate Op. 38 : Herr, wende Dich
zum Gebet (Soli, Chor,
4 Posaunen und Orgel)
Fantaisie pour la fête de la dédicace
(Orgel)
Magnificat (Chor und Orgel)
Aus „Drei geistliche Gesänge“:
Komm, Trost der Welt (Chor a
cappella)
Erscheinung (Orgel)
Moresca (4 Posaunen)
Pange lingua (Chor a cappella)
Christus factus est (Chor a
cappella)
In jener letzten der Nächte (Chor a
cappella)
Libera me (Chor, Orgel und 3
Posaunen)
Ecce sacerdos magnus (Chor, Orgel und 3 Posaunen)
Anton Bruckner (1824-1896)
Aequale Nr. 1 (3 Posaunen)
Ave Maria (Chor a cappella)
Afferentur regi (Chor und 3 Posaunen)
Moritz Hauptmann (1848-1933)
Kantate Op. 38 : Herr, wende Dich zum Gebet (Soli, Chor, 4 Posaunen und Orgel)
Philippe Mazé (*1954)
Fantaisie pour la fête de la dédicace (Orgel)
Magnificat (Chor und Orgel)
Axel Ruoff (*1957)
Aus „Drei geistliche Gesänge“:
Komm, Trost der Welt (Chor a cappella)
Erscheinung (Orgel)
Jan Müller-Wieland (*1966)
Moresca (4 Posaunen)
Anton Bruckner
Pange lingua (Chor a cappella)
Christus factus est (Chor a cappella)
In jener letzten der Nächte (Chor a cappella)
Libera me (Chor, Orgel und 3 Posaunen)
Ecce sacerdos magnus (Chor, Orgel und 3 Posaunen)
Was bedeutet Ewigkeit? Es ist eine Frage, die sich der ein oder andere vielleicht schon einmal gestellt hat. Formal können wir sie zwar beantworten, geistig hingegen umso weniger fassen. So kann man sich etwa einen langen Zeitraum vorstellen – sicherlich. Man kann sich auch einen sehr langen Zeitraum vorstellen. Oder einen seeeehr langen. Aber einen Zeitraum, der ewig ist? Nahezu unmöglich. Allein das Wort „Zeitraum“ schließt Ewigkeit im Grunde aus. So macht sich jeder sein eigenes Bild, um möglichst nahe an die wahre Ewigkeit heranzukommen. Auch Anton Bruckner, dem das heutige Konzert anlässlich seines 200. Geburtstages gewidmet ist, wird sich ein solches gemacht haben – war er doch ein tiefgläubiger Mensch. Seine 9. Symphonie soll er „dem lieben Gott“ gewidmet haben und nicht umsonst wird er bis heute „Musikant Gottes“ genannt. Wie er sich die Ewigkeit vorgestellt hat, werden wir wohl nie erfahren, aber viel-leicht können wir es erahnen, wenn wir seine Musik hören. Eine Musik, die wie kaum eine andere von seinem Glauben an Gott und die Ewigkeit durchzogen ist. Neben seinen Symphonien und großbesetzten Vokalwerken wie etwa dem Te deum wird das vor allem in seiner A-cappella-Musik deutlich.
Ruhig, wie eine unaufdringliche Einladung, steht die Aequale Nr. 1 am Beginn des Konzertes. Bruckner komponierte sie 1847 für das Begräbnis seiner Tante Rosalia Mayrhofer. Doch auch wenn die Aequale ursprünglich als Trauermusik geschrieben wurde, wirkt sie hier eher wie eine Ouvertüre für das darauffolgende Ave Maria. Beide Werke haben eine ähnliche Anmutung, die vor allem in ihrer homophonen Struktur begründet liegt – und doch liegen 14 Jahre zwischen den Kompositionen. Als Bruckner die Aequale komponiert, ist er Hilfslehrer an der Schule von Sankt Florian, ein Ort der ihn so geprägt hat, dass er später auf eigenen Wunsch dort begraben wird. Dennoch sehnt er sich nach einer gewissen Zeit fort. „Ich habe hier gar keinen Menschen, dem ich mein Herz öffnen dürfte, werde auch in mancher Beziehung verkannt, was mir oft heimlich sehr schwer fällt. Unser Stift behandelt Musik und folglich auch Musiker ganz gleichgültig. […] Ich kann hier nie heiter sein, und darf von Plänen nichts merken lassen“, schreibt er in einem Brief 1852. Drei Jahre später wechselt er nach Linz und wird Domorganist – es ist sein Schritt weg vom Lehrberuf hin zum professionellen Musiker. Hier wird er hochgeschätzt, nicht nur als Organist, sondern auch als Chorleiter. Insbesondere auf metrische Genauigkeit, saubere Intonation und dynamische Feinheiten legt er Wert und macht damit seinen Chor über die Stadtgrenzen hinaus berühmt. Es ist also kein Wunder, dass seine Motetten wie Ave Maria oder Afferentur regi ihre höchste Wirkung genau dann entfalten, wenn all dies zusammenkommt.
Ähnlich wie Anton Bruckner legt auch Moritz Hauptmann, der auf Empfehlung von Louis Spohr und Felix Mendelssohn Bartholdy 1842 zum Thomaskantor ernannt wurde, großen Wert auf Harmonie. „Die meisten wissen’s gar nicht, was reine Harmonie ist, haben kein Bedürfnis danach“, schreibt er in einem Brief von 1856. Dabei geht es ihm weniger um die reine Vertikalität der Musik, sondern vielmehr um den Zusammenklang der einzelnen Linien – und zwar nicht nach der temperierten Stimmung des Klaviers (nach dieser ließe sich nämlich nicht singen), sondern der wahrhaft reinen. Dieser reine Zusammenklang sei das Menschliche und Persönliche der Musik, durch ihn berühre die Musik den Menschen. Diese Reinheit und Einfachheit des musikalischen Ausdrucks ist es, die ihn auch bei der Komposition seiner Kantate Herr, wende Dich zum Gebet leitet. „Warum soll denn der liebe Gott immer so angedonnert werden [...]; in der Sache liegt’s gerade nicht, daß bei ‚Preis Dir‘ oder ‚Groß ist der Herr‘ es immer schmettern und wirbeln müßte.“ Der Zuhörer soll den Text emotional verstehen und alles zu Komplizierte würde dem im Wege stehen.
Mit Philippe Mazé endet schließlich der erste Teil des Konzertes. Auch er ist wie Anton Bruckner ein tiefgläubiger Mensch. Musik ohne einen Bezug zu Gott gibt es für ihn nicht. Selbst seine weltliche Musik hat immer einen spirituellen Anklang. So ist seine Fantaisie pour la fête de la dédicace, eine Art instrumentales Zwischenspiel des Konzerts, der Kirche La Madeleine in Paris und ihrem derzeitigen Hauptorganisten François-Henri Houbart gewidmet. Im Magnificat, das in diesem Konzert seine deutsche Erstaufführung erfährt, zeigt Mazé die große Vielfalt des Gebets – vom intimen persönlichen Gespräch bis zum prachtvollen Lobgesang.
Ähnlich wie die erste Hälfte des Konzerts beginnt auch die zweite ruhig, bevor sie sich zum Ende hin öffnet. Doch anders als Bruckners Aequale spielt Axel Ruoff in Komm, Trost der Welt mit reichen, komplexen Harmonien, die erst in vollständiger Reinheit wirklich zum Klingen kommen. Der warme, tiefe Klang soll dem Zuhörer Trost spenden. Das Erleben steht viel mehr im Vordergrund als der bloße Klang.
Über zwei instrumentale Werke findet das Programm seinen Weg wieder zurück zu Anton Bruckner. Mit Pange lingua, einem Fronleichnamshymnus, knüpft sich Bruckner einen Text vor, den er bereits in seiner frühen Jugend behandelt hatte. Es ist allerdings keine Weiterentwicklung des damals entstandenen Stückes (eine solche verfasst er erst später, gegen Ende seines Lebens) – sondern eine gänzlich neue Komposition. Doch obwohl sie bereits 1868 entsteht, wird sie erst über 20 Jahre später uraufgeführt. Mit scheinbar einfachen Mitteln schafft Bruckner hier ein harmonisch originelles und ausdrucksstarkes Werk, das sich zunächst lediglich aus einem Ton aufbaut. Einen ähnlich schlichten und dunklen Anfang wie für Pange lingua wählt Bruckner auch für Christus factus est. Diese Motette zählt zu den schönsten Motetten Bruckners und wird häufig als Meisterwerk bezeichnet. Auch sie zeichnet sich durch eine avancierte spätromantische Harmonik aus. In ihr spürt man Bruckner als großen Sinfoniker, der den Raum in jeglicher Richtung auskostet. Extreme Lagen und weit gespannte Bögen verleihen der Motette eine Spannung, die sich immer wieder in feierlichen Höhepunkten entlädt, bis die Motette zuletzt zu ihrer anfänglichen Ruhe zurückkehrt. An harmonischem Reichtum verliert sie zu keiner Zeit.
Nach dem kurzen choralartigen Lied In jener letzten der Nächte, das Bruckner für Passionsandachten komponierte, vereinen sich zum Schluss des Konzerts in Libera me Orgel, Posaunen und Chor miteinander. Auch diese Motetten werden trotz der Besetzung zu Bruckners A-cappella-Chören gezählt. Nicht nur haben sowohl Posaunen als auch die Orgel von Natur aus eine gewisse Ähnlichkeit zur menschlichen Stimme, auch in ihrer unterstützenden Funktion, die Bruckner ihn in den beiden Werken zuteilt, verschmelzen sie mit dem Chor. Mit Ecce sacerdos endet das Konzert schließlich feierlich, beinahe königlich. Ob nun diese Feierlichkeit oder eher die intime Ruhe anderer Motetten der himmlischen Ewigkeit für Bruckner am nächsten kommt, bleibt jedem selbst überlassen.
Franziska Klein
figure humaine kammerchor
Kerstin Mörk, Klavier
Denis Rouger, Leitung
16.03.2024:
Mutterhauskirche Würzburg (Festival Lied Würzburg)
17.03.2024:
Mozartsaal, Liederhalle Stuttgart
07.04.2024:
Stadtkirche Offenburg
Gabriel Fauré (1845-1924)
Henri Duparc (1848-1933)
Robert Schumann (1810-1856)
Hugo Wolf (1860-1903)
Robert Schumann
Denis Rouger (*1961)
Pierre Villette (1926-1998)
Nadia Boulanger (1887-1979)
Maurice Ravel (1875-1937)
Gabriel Fauré
* Bearbeitung für fünfstimmigen Chor Denis Rouge
Notre amour Op. 23/2 *
Au bord de l‘eau *
En prière * (Erstaufführung)
Ave verum *
Cantique de Jean Racine
Le ruisseau
Chanson triste *
Novellette Op. 21/1 (Klavier solo)
Verborgenheit *
An die Sterne Op. 141
Talismane
Lobet den Herrn
O bone Jesu
Hymne à la vierge
Cantique * (Erstaufführung)
Trois beaux oiseaux
L’aurore (Kantate)
Pavane
Hymne * (Erstaufführung)
Gabriel Fauré (1845-1924)
Notre amour Op. 23/2 *
Au bord de l‘eau *
En prière * (Erstaufführung)
Ave verum *
Cantique de Jean Racine
Le ruisseau
Henri Duparc (1848-1933)
Chanson triste *
Robert Schumann (1810-1856)
Novellette Op. 21/1 (Klavier solo)
Hugo Wolf (1860-1903)
Verborgenheit *
Robert Schumann
An die Sterne Op. 141
Talismane
Denis Rouger (*1961)
Lobet den Herrn
O bone Jesu
Pierre Villette (1926-1998)
Hymne à la vierge
Nadia Boulanger (1887-1979)
Cantique * (Erstaufführung)
Maurice Ravel (1875-1937)
Trois beaux oiseaux
L’aurore (Kantate)
Gabriel Fauré
Pavane
Hymne * (Erstaufführung)
* Bearbeitung für fünfstimmigen Chor Denis Rouge
Wir begegnen uns. Jeden Tag. Mal treffen wir auf Menschen, die uns ein Lächeln schenken, mal auf andere, die gedankenversunken und ins Weite blickend an uns vorübergehen. Mal verändert eine Begegnung unser Leben, mal einfach den Moment. Begegnungen sind der Ursprung aller Lebensgeschichten, sind Lebenselixier in unserer Welt. Begegnung ist Klang, Duft, Berührung, Aufmerksamkeit, bedeutet Lachen, Weinen, Singen, Genießen, Erzählen, Austauschen und Teilen.
Der figure humaine kammerchor sucht solche Begegnung: er steht für deutsch-französische Freundschaft, auch weil er immer wieder in Frankreich konzertiert und Teile des Ensembles aus Frankreich stammen. Darüber hinaus sorgt er durch die Aufführung deutscher und französischer Werke in jedem Konzert für einen Austausch, bei dem die Musik spricht. Dass einem großen Publikum dadurch – neben CD- und Notenveröffentlichungen – die Welt der französischen Mélodies eröffnet wird, ist eine Besonderheit: die Bearbeitungen für gemischten Chor und Klavier von Denis Rouger beleuchten sie aus vielen Perspektiven.
Zum Gedenken seines 100. Todestages ist dieses Konzert Gabriel Fauré gewidmet: mehr als 100 Mélodies schrieb er innerhalb von 60 Jahren und war auf seine Weise Vermittler und Ermöglicher von Begegnungen. So lässt Fauré Musik und Sprache mithilfe seiner speziellen Tonalität verschmelzen und verbindet weltliche und kirchliche Musik. Auch schuf er Raum für deutschfranzösische Begegnung, indem er beispielsweise Stücke von Robert Schumann studierte und unterrichtete, deren Sensibilität und Zerbrechlichkeit ihn ansprachen. Dies wurde u.a. seiner Schülerin Nadia Boulanger zuteil, die wiederum Faurés Werk tradierte. Durch seine behutsame, noch tonale Erweiterung des musikalischen Horizonts des 19. Jahrhunderts, das in Frankreich von Saint-Saens und Gounod geprägt worden war, wird er Türöffner für die großen Impressionisten Debussy und Ravel.
Am heutigen Abend hören Sie von Begegnungen in allerlei Facetten:
Notre amour erzählt die Geschichte zweier Verliebter, beschreibt mit Naturbildern die Unfassbarkeit von Liebe: zauberhaft, leicht, heilig, unendlich und ewig. Genauso schwerelos ist auch die Musik, die die Sorglosigkeit der beiden widerspiegelt. Eine verspielte Melodie wird weich in Alt- und Basslinien gebettet, bevor sie sich in ewige himmlische Höhen schwingt.
Ebenfalls zwei Liebende sitzen Au bord de l’eau und vergessen die Welt, sogar die Natur liegt unter einem verträumten Schleier: der Bach fließt, die Wolken gleiten dahin, wie auch einzelne Chorstimmen immer wieder schweigen, voraus- oder nachklingen, als würde die Zeit durch die Hände rinnen.
En prière spricht den Wunsch nach der Begegnung mit Gott aus: nach oben gerichtete Arpeggien scheinen das Gebet zum Himmel zu tragen, und als der oder die Betende verspricht, das Leben für Gott zu geben, verbinden sich „Mensch" und „Gott“ mit zwei entgegenkommenden Linien in dramatisch gewichtigen Vierteln.
Im Ave verum verwandelte Denis Rouger die begleitende Orgelstimme in einen Chor. Für den Abschluss seines Studiums an der Kirchenmusikschule Ecole Niedermeyer in Paris komponierte Gabriel Fauré den berühmten Cantique de Jean Racine: nacheinander setzen die Stimmen ein, von der tiefsten bis zur höchsten, und besingen einen Treueschwur, der nach und nach die matten Seelen weckt und die Stille der Nacht aufbricht, auf dass das Gebet die göttliche Gnade erwirke.
Ein Bach und eine einsame Blume begegnen sich in Le ruisseau: am liebsten will er sie mitreißen, doch sie bleibt an ihrem Ort, sodass der Bach traurig seinem Lauf folgt, der in der wellenförmigen Klavierstimme hörbar gemacht wird, die einen Frauenchor begleitet. Wofür dieses Bild wohl stehen mag?
Henri Duparc legt in seinen Chanson triste tiefe Trauer und Schmerz, lässt aber trotzdem verborgenen Glanz und Schimmern aufleuchten. Für die beinahe irren Gedanken über den unerfüllten Wunsch nach Begegnung vermischen sich die Chorstimmen, scheren textlich aus und scheinen verrückt geworden; erst als die Geliebte die Ballade über sie singt, beruhigen sie sich. Jedoch steht am Ende die Einsamkeit: das Klavier schließt allein, indem es das zuvor gesungene Motiv „et dans tes yeux plein de tristesse“/„und deine Augen sind voller Traurigkeit“ wiederholt. Auch in Verborgenheit bleibt das lyrische Ich allein. Jedoch ist es hier sein ausdrücklicher Wunsch, niemandem zu begegnen: „Laß, o Welt, o laß mich sein!“ Es dreht sich, von Melancholie und Weltschmerz erfasst im Kreis, lebt „immerdar“ in unerklärlicher Trauer. Nur ab und zu scheint die Sonne die Tränenschleier zu durchbrechen – mit Frauenstimmen und in immer höher steigenden Achtelakkorden im Klavier.
Robert Schumann lässt in den folgenden beiden Werken nicht nur zwei Chöre aufeinander treffen, sondern „Welten“. An die Sterne richtet sich die Sehnsucht nach einem fernen, besseren Leben: herabschauende Geister tauchen unvermittelt in den einzelnen Stimmen der beiden Chöre auf, nachdem zuvor ein weiter Nachthimmel in Homophonie aufgespannt wurde. Ein Gedicht aus Goethes „Westöstlichen Divan“ vertont Schumann mit Talismane. Goethe selbst tritt als Reisender auf, der den Orient kennenlernt und ihm unbekannten Kulturen begegnet. Die Musik ist lebendig und temporeich, die beiden Chöre wechseln sich ab und malen damit ein Bild wie von zwei Himmelsrichtungen, Nord und Süd – oder West und Ost. Das Stück endet mit der Aufforderung, Gott zu danken: so folgt in unserem Programm ein Loblied nach Psalm 113, Lobet den Herrn, von Denis Rouger.
O bone Jesu wurde im Stile einiger Kapellmeister der Pariser Pfarrkirche La Madeleine geschrieben: eine einzigartige Begegnung von Camille Saint-Saens, Gabriel Fauré und Philippe Mazé. In Hymne à la vierge treffen wir auf Maria, wie auch in Nadia Boulangers Cantique. Die 2. Strophe wurde hierfür von Rouger im Stile Maurice Maeterlincks, der wichtiger Zeitgenosse Boulangers war, gedichtet: Maria verspricht, die „irdisch“ Liebenden „himmlisch“ zu begleiten.
Ein im Winter 1914/15, wenige Monate nach Ausbruch des 1. Weltkriegs, entstandenes Stück ist Trois beaux oiseaux: Maurice Ravel vertont eine der schlimmsten und eine der schönsten Begegnungen unter Menschen: Krieg und Liebe. Ein Mädchen sieht drei Vögel aus dem Paradies vorüberfliegen, einen blauen, einen weißen und einen roten. Es sind die Farben der Trikolore, die sie daran erinnern, dass ihr Freund für Frankreich in den Krieg gezogen ist. Ein klagender Solosopran singt ein volkstümlich anmutendes, schlichtes Lied, das von Chorakkorden begleitet wird. Nacheinander fragt sie die Vögel, was sie ihr mitbringen. Jeder antwortet mit einer anderen Solostimme: der rote Vogel bringt das Herz des Geliebten, worauf das Mädchen erstarrt und ihn bittet, auch ihr Herz mitzunehmen. Wie eine Erlösung wirkt daraufhin L’aurore, ein großer Gesang auf den anbrechenden Morgen.
In einem Schreittanz, einer Pavane, auf einem Maskenball begegnen sich die Menschen mit Masken und choreographierten Tanzschritten auf künstliche Weise. Faurés Pavane ist ursprünglich instrumental gedacht, Text samt Chorstimmen wurden später hinzugefügt. Auf Basis von Faurés Klavierauszug und diversen überlieferten Orchesterfassungen haben die Pianistin Kathrin Schweizer und Denis Rouger das Stück neu ediert.
Der Glanz einer Begegnung mit einer gottgleichen Person strahlt am Ende des Konzerts in Hymne. „Salut en immortalité“/„Ein Hoch auf die Unsterblichkeit“ klingt wie ein Freudenjubel und soll uns Mut machen, auf lebensverändernde, erleuchtende Begegnungen zu hoffen, die wiederum uns fröhlich unseren Mitmenschen begegnen lassen.
Anne Weißert
figure humaine kammerchor
Olga Wien, Klavier
Denis Rouger, Leitung
21.10.2023: Taborkirche Freudenstadt
22.10.2023: Mozartsaal, Liederhalle Stuttgart
21.01.2024: Vesperkirche Leonhardskirche Stuttgart
Gabriel Fauré (1845-1924)
Nell Op. 18/1 *
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Aimons-nous *
Nocturne *
Chant de ceux qui s’en vont en mer *
Les fleurs et les arbres
Chanson à boire du vieux temps *
Soirée en mer Op. 13/1 *
Denis Rouger (*1961)
Je voy les ruisseaux
Heinrich von Herzogenberg (1843-1900)
Wie schön, hier zu verträumen Op. 22/4
Max Bruch (1838-1920)
Morgengesang Op. 71/7
Clara Schumann (1819-1896)
An einem lichten Morgen *
Robert Schumann (1810-1856)
Die Capelle Op. 69/6
Wilhelm Berger (1861-1911)
Die Capelle am Strande
Trost der Nacht Op. 25/6
Robert Schumann
Triolett Op. 114/2
Heinrich von Herzogenberg
Sehnsucht Op. 98/4
Tanzlied Op. 26/6
Wilhelm Berger
Von ferne klingen Glocken Op. 103/3
Lili Boulanger (1893-1918)
Hymne au soleil
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Gabriel Fauré (1845-1924)
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Denis Rouger (*1961)
Heinrich von Herzogenberg
(1843-1900)
Max Bruch (1838-1920)
Clara Schumann (1819-1896)
Robert Schumann (1810-1856)
Wilhelm Berger (1861-1911)
Robert Schumann
Heinrich von Herzogenberg
Wilhelm Berger
Lili Boulanger (1893-1918)
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Nell Op. 18/1 *
Aimons-nous *
Nocturne *
Chant de ceux qui s’en vont en mer *
Les fleurs et les arbres
Chanson à boire du vieux temps *
Soirée en mer
Op. 13/1 *
Je voy les ruisseaux
Wie schön, hier zu
verträumen Op. 22/4
Morgengesang Op. 71/7
An einem lichten Morgen *
Die Capelle Op. 69/6
Die Capelle am Strande
Trost der Nacht Op. 25/6
Triolett Op. 114/2
Sehnsucht Op. 98/4
Tanzlied Op. 26/6
Von ferne klingen Glocken Op. 103/3
Hymne au soleil
Traum. Ruhe zu finden und sich den unberechenbaren Welten der Träume hinzugeben, enthebt uns den Wirrungen der irdischen Welt. Die Nacht wird zum Schutzraum und Ort des Trostes, in dem der Alltagsschmerz eingebettet und so erträglich gemacht wird (Nocturne). Wie schön hier zu verträumen, denkt sich auch das lyrische Ich in Eichendorffs Gedicht über eine Nacht im stillen Wald, das Heinrich von Herzogenberg einer dunklen, erdigen Klaviereinleitung folgen lässt. Auf weichem Grund träumt es sich in andere Welten und tiefe Wünsche…
Dort erscheinen das Traumbild der Geliebten (Nell) als „Perle“ am Himmel, gesungen in großen Kantilenen, die ein Sternenmeer von Sechzehnteln im Klavier durchziehen. Oder der Traum von Liebe, die das irdische Leben überwindet: „Solange wir uns lieben, wird nicht einmal der Tod uns etwas anhaben können“ (Aimons-nous).
Nur ein Traum?, mögen diejenigen hoffen, die in das nächtliche Grollen des Meeres aufbrechen müssen, sich von allem Geliebten verabschieden müssen (chant de ceux qui s’en vont en mer), und das Leben einem Albtraum zu gleichen scheint. Rasendes Zittern und meerestiefes Brodeln im Klavier wird abwechselnd aufgebrochen von liebe- und angstvollen Stimmen. In soirée en mer sieht das angesprochene Du schon den Himmel, die Sterne, sogar Gott lächeln, während das Ich seine Gedanken in dunklen Wellen und Schatten versenkt. Wir hören Träume, die uns in ein Azurblau hineinziehen: Ob es der Himmel oder seine Spiegelung in den Tiefen des Meeres ist, vermag kein Mensch zu entscheiden.
Verträumte Welt. In Tagträumen oder eingeflochten ins Nachtgebet schleichen sich Wünsche und Sehnsüchte in unsere Gedanken: So hört das lyrische Ich in Sehnsucht von allen Seiten Zweige flüstern und beben und fürchtet das „Unkraut“ im Blumenbeet des Herzens, wenn das Sehnen nicht aufgelöst wird. Doch auch Fantasien wie die eines „Bürschleins“ entstehen, der sich in Tanzlied eine Tanzpartnerin erträumt: der Traum ist so lebendig, dass der junge Mann schon tanzt und singt, bevor das Fest überhaupt begonnen hat: „Heißassa!“
Und manches Mal unterstützt der Wein die fröhlichen Gespinste: deshalb lädt Chanson à boire ein, zu trinken, um mehr wissen (oder träumen?) zu können.
Clara Schumann vertont in An einem lichten Morgen ein – zugegeben fragwürdiges – Gedicht von Hermann Rollet, in dem es um die Begegnung einer Blume und eines Sonnenstrahls geht. Diese kann symbolisch für die Liebesvereinigung zweier Menschen verstanden werden. Dass eine starke und selbstbestimmte Frau wie Clara Schumann einen solchen Text bearbeitet und zu ihrem Traum erklären würde, scheint befremdlich. Doch schafft sie auf brillante Weise mit der Verbindung eines spielerisch, hell funkelnden Klavierparts und einer einfachen, fast naiv wirkenden Melodie eine Atmosphäre, die eher das Naturbild in den Blick rückt. Und überdies: wer weiß schon, was Träume bringen?
Aufgeweckt. Der Morgenwind im bereits oben erwähnten Wie schön hier zu verträumen kündet uns in munteren Quartenrufen und weckenden Triolen im Klavier den neuen Tag. Auch wenn manches Auge für die Schönheit des Tages getrübt sein mag, wie in Je voy les ruissaux, wenn ein geliebter Mensch fehlt, kann die Natur auch ohne die Nacht als Schutzraum Trösterin der „ver(alb)träumten“ Herzen sein (Les fleurs et les arbres)…
Die Sonne flutet mit ihrem Leuchten und ihrer Wärme nach und nach die noch schlafende Welt: Max Bruch erschafft in seinem selten gehörten Morgengesang einen erhabenen „Welterleuchtungsgang“, indem er zunächst einen prächtigen Männerchor am Horizont erscheinen lässt und später strahlende Frauenstimmen hinzukommen, bis der Sonnenaufgang sich im Klang vollends Bahn bricht: Der Tag nimmt seinen Lauf.
Glockengeläut verbindet – oder wie in Wilhelm Bergers Die Capelle am Strande „versöhnt“ – immer wieder die Erde mit dem Himmel: so hört ein Hirtenknabe in Uhlands Gedicht Die Capelle die Beerdigungsglocken der Wurmlinger Kapelle bei Tübingen und unterbricht sein frohes, verträumtes Lied, weil das Läuten auch ihm seine Vergänglichkeit zuflüstert. Schumann verwebt Leben und Tod, die so nah beieinanderliegen wie Traum und Erwachen, in einem Doppelkanon, in dem zwei Kanons gleichzeitig ineinander klingen.
Glockenklänge nehmen uns schließlich in Von ferne klingen Glocken und Hymne au soleil in traumhafte Welten mit: in beeindruckenden Harmoniefolgen lädt die Musik von Berger ein, die Flügel auszubreiten, vom Waldesodem zu trinken und dann über Tal und Höhen zu fliegen. Lili Boulanger erschuf eine Hymne an die Sonne, die von glockenähnlichen, flirrenden Akkordschichtungen durchzogen ist und mit stets aufwärts gerichtetem und gebetartigem Gesang immer lauter das Sonnenfeuer und die dadurch mögliche traumhafte Schönheit der Erde besingt. Die Dunkelheit in beschwerten Seelen verschwindet – zumindest für diesen zeitlosen Moment.
Im heutigen Konzert sollen sich französische und deutsche Musik, Klavier- und acappella-Klang, etablierte Kompositionen von Schumann und Herzogenberg und zu Unrecht unbekannte – wie die von Wilhelm Berger und Max Bruch – und Traum und Wirklichkeit verbinden. Das Programm widmet sich zudem dem Komponisten Camille Saint-Saëns, dessen Todestag sich im Jahr 2021 zum 100. Mal jährte. Damals entstand ein Streamingkonzert ohne Konzertpublikum unter dem Titel „Verträumte Nacht“, das Sie als Nachklang des heutigen Abends auf YouTube finden können. Teile daraus erklingen heute zum ersten Mal live für Sie.
Wir möchten Sie einladen: Lassen Sie sich umhüllen und verwandeln von der Musik, wie auch verträumte Nächte uns verwandeln und uns in neuem Licht erwachen und auf die Welt schauen lassen.
Anne Weißert
figure humaine kammerchor
Katharina Schlenker, Klavier
Georg Schmid, Bariton / Henriette Autenrieth, Sopran
Denis Rouger, Leitung
13.05.2023: Stadtkirche St. Peter und Paul Blaubeuren
14.05.2023: Mozartsaal, Liederhalle Stuttgart
21.07.2023: Schulkonzert Das wunderbare Unbekannte, Gustav-Siegle-Haus Stuttgart
23.07.2023: Europäisches Kirchenmusikfestival Schwäbisch Gmünd
Fanny Hensel (1805-1847)
Zauberkreis * (Erstaufführung)
Traum * (EA)
Sehnsucht nach Italien * (EA)
Mignon * (EA)
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
Aus Lieder im Freien zu singen:
Morgengebet Op. 48/5
Clara Schumann (1819-1896)
Ich hab‘ in deinem Auge *
Robert Schumann (1810-1856)
Zigeunerleben Op. 29/3
Charles Gounod (1818-1893)
Mignon CG449 *
Pauline Viardot-Garcia (1821-1910)
Chœur des elfes
Charles Gounod (1818-1893)
La nuit
Gabriel Fauré (1845-1924)
Cing mélodies de Venise Op. 58:
Mandoline Op. 58/1 * (EA)
En sourdine Op. 58/2 *
Green Op. 58/3
A Clymène Op. 58/4 * (EA)
C’est l’extase Op. 58/5
Rêve d’amour Op. 5/2 *
Fleur jetée Op. 39/2 *
Après un rêve Op. 7/1 *
Lili Boulanger (1893-1918)
Les sirènes
Hugo Wolf (1860-1903)
Der Feuerreiter
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Fanny Hensel (1805-1847)
Felix Mendelssohn Bartholdy
(1809-1847)
Clara Schumann (1819-1896)
Robert Schumann (1810-1856)
Charles Gounod (1818-1893)
Pauline Viardot-Garcia
(1821-1910)
Charles Gounod (1818-1893)
Gabriel Fauré (1845-1924)
Lili Boulanger (1893-1918)
Hugo Wolf (1860-1903)
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Zauberkreis * (Erstaufführung)
Traum * (EA)
Sehnsucht nach Italien * (EA)
Mignon * (EA)
Aus Lieder im Freien zu singen:
Morgengebet Op. 48/5
Ich hab‘ in deinem Auge *
Zigeunerleben Op. 29/3
Mignon CG449 *
Chœur des elfes
La nuit
Cing mélodies de Venise Op. 58:
Mandoline Op. 58/1 * (EA)
En sourdine Op. 58/2 *
Green Op. 58/3
A Clymène Op. 58/4 * (EA)
C’est l’extase Op. 58/5
Rêve d’amour Op. 5/2 *
Fleur jetée Op. 39/2 *
Après un rêve Op. 7/1 *
Les sirènes
Der Feuerreiter
„Kennst du es wohl?“ fragt Goethe in einem seiner Mignon-Lieder. Das Land, wo die Zitronen blühen, das Land der Träume, Italien. Fanny Hensel kannte es nicht, als sie mit gerade einmal 16 Jahren mit ihrem Bruder Felix und ihren Eltern in die Schweiz reist. Doch wie es so manchem geschieht, der sich auf den Weg nach Süden macht, überkommt sie eine unermessliche Sehnsucht nach eben jenem Land, das nur noch wenige Gebirgsketten entfernt ist. Unglücklicherweise reist die Familie nicht weiter, sondern wieder zurück nach Deutschland und Fanny bleibt nichts anderes übrig, als ihre Sehnsucht in Musik zu verwandeln: Noch während der Reise entsteht Sehnsucht nach Italien, ein kurzes, einfaches Lied im Stile Mozarts, und nur wenig später vertont sie mit Mignon ein weiteres von Goethes Sehnsuchts-Liedern. Ganze 17 Jahre muss sie allerdings warten, bis ihr Traum endlich in Erfüllung geht: ein Jahr Italien.
Diese beiden Lieder eröffnen gemeinsam mit Zauberkreis und Traum das Konzert. Ein Konzert über Träume, wundersame Orte und phantastische Wesen. Denn ist es nicht gerade das Wundersame, Fantasievolle, Traumhafte, das Fremde, das uns reizt und uns gleichsam Angst macht? Den vier Liedern Fannys an die Seite gestellt ist das Morgengebet ihres Bruders Felix. Immer wieder träumte er davon, Chorlieder im Freien aufzuführen, im Einklang mit der Natur. Aus dieser Idee heraus entstanden über Jahre hinweg die drei Zyklen Im Freien zu singen, aus denen manche Sätze tatsächlich schon zu seinen Lebzeiten in der Natur erklangen. „Wie [die Sänger] sich den Abend unter die Bäume stellten, und mein erstes Lied [...] anhoben, da war es in der Waldstille bezaubernd, daß mir beinah die Thränen in die Augen kamen. Wie lauter Poesie klang es“, schwärmt Felix in einem Brief vom 3. Juli 1839. Fast klingt es so, als käme ihm hier die Idee für das Morgengebet mit seinem „wunderbaren, tiefen Schweigen“.
Mit Clara und Robert Schumann wendet sich das Programm nun einer weiteren Komponistenfamilie zu. Anders als Fanny, die ihre Musik zunächst nur für einen kleinen Kreis schreiben durfte, hatte Clara von Anfang an die volle Unterstützung ihres Mannes und veröffentlichte bereits mit Anfang 20 ihren ersten eigenen Liedzyklus, darunter das Lied Ich hab‘ in deinem Auge. Etwa zeitgleich entstand Roberts Zigeunerleben, eine subjektive Beschreibung scheinbar wundersamer Gestalten. Da knistert‘s, flackert‘s und wispert‘s geheimnisvoll, die Gestalten verbergen sich im Schatten des Waldes, tanzen ums Feuer und erzählen sich alte Sagen und Geschichten. Was heutzutage heftige Diskussionen auslösen würde, darüber hat sich Schumann damals keine Gedanken gemacht. Er zeichnet die fremde Welt, wie er sie sich vorstellt. Eine Momentaufnahme, bevor die Gestalten auf leisen Pfoten wieder weiterziehen. Wer sagt uns, wohin?
Nach diesem Ausflug in eine fremde Welt, greift Charles Gounods Mignon gegen Ende des ersten Teils die Sehnsucht nach Italien wieder auf. Während sich der Inhalt seiner und Fanny Hensels Goethe-Vertonungen ähnelt, so ändert sich die musikalische Sprache doch deutlich. Die klassische, mozartartige Klarheit weicht romantischen, langgezogenen Linien. Bereits im Vorspiel zieht sich eine einfache, aber umso sehnsuchtsvollere Melodie über südlich angehauchte Tremoli. Sie scheint dem Zuhörer den Weg ins ferne Wunderland zu weisen, nimmt ihn aber zugleich an die Hand und holt ihn, noch bevor der Chor beginnt, wieder zurück in die Realität.
Bevor der erste Teil mit einem weiteren Stück von Gounod, La nuit, schließt, wendet er sich der Komponistin Pauline Viardot-Garcia zu, einer Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, die in vielfacher Hinsicht fasziniert. Als Sängerin wurde sie berühmt, trat auf den großen Bühnen der Welt auf, als Pianistin spielte sie mit Größen der Zeit wie Clara Schumann und Franz Liszt und als sie mit steigendem Alter die Bühne weitgehend hinter sich ließ, machte sie sich schließlich als Komponistin, Schriftstellerin und Musikpädagogin einen Namen. In ihrem Choeur des elfes lässt sie die Elfen förmlich im Saal umherschwirren und als diese auf den verschmitzten, boshaften Gesang der Sylphen zu sprechen kommen, wandelt sich der elfenhafte, flirrende Gesang im Hintergrund in das Summen einer lästigen Fliege.
Zu Beginn des zweiten Teils steht ein Zyklus Gabriel Faurés: Cinq mélodies de Venise. Wie eine Mandoline zupfend tupft das Vorspiel von Mandoline einzelne Akkorde am Klavier und bildet eine scheinbar positive, unterhaltende Untermalung der darauffolgenden Szene. Fauré malt das Bild einer Gesellschaft, die nach außen hin elegant, fröhlich, ausgelassen wirkt, unter der Fassade jedoch leer scheint. Physisch anwesend und innerlich doch so weit weg scheinen sie wie im Traum zu wandeln. Ähnlich schleierartig legen sich in En sourdine die Harmonien über die Gefühle des lyrischen Ichs, die gerade in ihrer Ruhe eine besondere Stärke bekommen. Fauré zeigt sich hier wie in seinem gesamten Zyklus von seiner späten, tiefgründigen Seite. Die Musik folgt eng dem Text, allerdings in dezenter, kaum spürbarer Weise. Die Lieder wirken schlicht und sind doch tiefgründig. Rêve d’amour und Après un rêve, die in einer etwas früheren Phase entstanden sind, weisen ebenfalls diese Schlichtheit auf, doch bleiben sie musikalisch vergleichsweise an der Oberfläche, ohne jedoch an Schönheit und Emotion zu verlieren.
Bevor das Programm mit Hugo Wolfs Der Feuerreiter, einem Schreckensmärchen, schließt, wendet es sich der wohl herausragendsten französischen Komponistin des beginnenden 20. Jahrhunderts zu: Lili Boulanger. Als erste Frau erhielt sie 1913 mit gerade einmal 19 Jahren den Ersten Großen Rompreis, eine der höchsten Auszeichnungen für Komposition in Frankreich – und das zu Recht. Sie selbst eine Schülerin von Fauré steht auf einer Stufe mit Claude Debussy, sowohl hinsichtlich ihrer Musiksprache als auch ihrer Begabung. Boulangers Farbreichtum ist unbeschreiblich. In Sirènes hört man die Sirenen förmlich singen, aber nicht plakativ, sondern stimmungsvoll, eindrucksvoll, sodass man sich unweigerlich wünscht, diese Frau, die nur 24 Jahre alt wurde, hätte mehr Zeit zum Komponieren gehabt.
Franziska Klein
Schulprojekt
– konzipiert und durchgeführt von Ruth Wörner und Student*innen der EMP Klasse der HMDK Stuttgart
Um Kindern die natürliche und spontane Freude am Singen zu erhalten und sie vertraut zu machen mit bekanntem und unbekanntem Gesangsrepertoire weitet der figure humaine kammerchor sein erfolgreiches Schulprojekt auf die Altersstufe ”Grundschule” aus. Denn im Grundschulalter entscheidet sich, ob Kinder ihr Leben lang mit Freude und Selbstvertrauen singen oder für immer vom Singen ablassen und den Satz ”ich kann nicht singen” in ihr Selbstbild integrieren. Das Grundschulalter ist daher der ideale Zeitraum, um Kinder in ihrem Singen zu fördern und zu bestärken, denn die positiven Effekte des Singens sind inzwischen empirisch gut erforscht: das Sprachenlernen wird gefördert, das Gehör geschult, eine gesunde Atmung erlernt, das prosoziale Verhalte gestärkt, ein positiver Effekt auf die Emotionsregulation lässt sich feststellen, eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung wird wahrscheinlicher, und das allgemeine körperliche und psychische Wohlbefinden, sowie die Potentialentfaltung des Gehirns werden durch das Singen gesteigert. Es scheint, als könnten wir als Gesellschaft einige Probleme vermeiden, wenn wir mehr singen würden. Darüber hinaus darf natürlich der Wert, den die Musik als solche darstellt nicht vergessen werden: unglaublich berührende, beschwingende, mitreißende oder erhabene Melodien verzaubern und ziehen in ihren Bann, farbige Harmonien lassen spüren, was das Besondere am Menschsein ist. Die Musik ist eine der ältesten und gleichzeitig komplexesten und faszinierendsten kulturellen Manifestationen, die uns Menschen zu Menschen machen. Das zwanglose Musizieren stellt außerdem einen notwendigen Gegenpol zu unserer zunehmend unter Druck stehenden Leistungsgesellschaft dar. Kindern diese Welt näher zu bringen, sollte daher eine unbedingte Priorität in der Bildung kommender Generationen sein. Da die Realität an Schulen jedoch anders aussieht (laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Deutschen Musikrats aus dem Jahr 2020 wird nur 42,8% des Musikunterrichts an Grundschulen von ausgebildeten Musiklehrkräften erteilt. Als professionelles Ensemble sieht sich der figure humaine kammerchor in besonderem Maße dazu in der Lage, Kindern die Freude am Singen zu vermitteln, nicht nur, indem professionelle Anleitung und Unterstützung beim Singen geboten wird, sondern auch, indem ein besonderer Anlass für das Singen, nämlich im Rahmen eines Konzerts, das die Kinder gemeinsam mit den professionellen Sänger:innen des Ensembles gestalten, geschaffen wird. Ruth Wörner, Dozentin für Elementare Musikpädagogik an der HMDK Stuttgart, wird den Chor dabei mit musikpädagogischem Fachwissen und jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich musikalische Früherziehung in der Grundschule unterstützen und erarbeitet im Moment, gemeinsam mit engagierten Mitgliedern des Ensembles und dem musikalischen Leiter Denis Roger, ein Konzept, wie Grundschulkinder im Rahmen eines Konzertes spielerisch und angstfrei die Freude am Singen entdecken können. Das eigene Singen soll dabei im Fokus stehen, aber auch das Hören eines professionellen Chores kann einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, wenn Werke so aufbereitet werden, dass sie für Kinder zugänglich sind.
Kathrin Schweizer
Nikola Stolz, Oboe
Hannah Gries, Sopran
Nikolaus Fluck, Bariton
figure humaine kammerchor
Stuttgarter Philharmoniker
Denis Rouger, Leitung
07.04.2023: Leonhardskirche Stuttgart
J. Guy Ropartz (1864-1955)
Lamento für Oboe und Orchester (deutsche Uraufführung)
Franz Liszt (1811-1886)
Vater unser für Chor a cappella
Gabriel Fauré (1845-1924)
Cantique de Jean Racine
Requiem in der Fassung für symphonisches Orchester
J. Guy Ropartz (1864-1955)
Franz Liszt (1811-1886)
Gabriel Fauré (1845-1924)
Lamento für Oboe und Orchester (deutsche Uraufführung)
Vater unser für Chor a cappella
Cantique de Jean Racine
Requiem in der Fassung für symphonisches Orchester
Es ist vollbracht. Drei einfache Worte – und alles ist gesagt: Was ist, was war und was kommt. In diesem kurzen Moment entsteht nicht nur eine ganze Religion, die gesamte Denkweise eines großen Teils der Menschen ändert sich fundamental. Fortan besteht Hoffnung, Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, im Paradies. Ein Funken, der klein und doch stark ist.
Ebenso schlicht und gleichsam voller Emotion erhebt sich in Guy Ropartz‘ Lamento die Oboenstimme über das Orchester. Während Ropartz selbst sehr gläubig war, ist seine Klage hier rein weltlicher Natur. Der zugrundeliegende Text beklagt das Ende des Tages, den Untergang der Sonne – man könnte sagen: banal. Und doch hat diese Klage etwas so Inniges, als stünde sie symbolisch für alles größere Leid auf dieser Erde. Insbesondere die feine Orchestrierung, die im Gegensatz zur Fassung für Klavier und Oboe so gut wie nie aufgeführt wird, lässt Raum für Fantasie.
Mit dem Vater unser von Franz Liszt wendet sich das Konzert dem geistlichen Repertoire und damit dem Karfreitag zu. Ein „stiller Tag“, an dem keine Glocken klingen, an dem nicht getanzt wird und an dem die Orgel im Gottesdienst schweigt. Einzig und allein der A-cappella-Gesang, die Stimme bleibt übrig – und das nicht ohne Grund. Ist sie nicht die ursprünglichste Form der Musik? Entspricht sie von allen Musikformen nicht am ehesten dem Inneren des Menschen? Ihre Reinheit hat etwas Tröstliches, etwas tief Menschliches. Und so steht sie im Mittelpunkt des großen, sonst oft dahin gemurmelten Gebets.
Bevor das Konzert mit dem Requiem inhaltlich wie musikalisch seinen eigentlichen Höhepunkt erreicht, folgt zunächst ein Jugendwerk Gabriel Faurés: Cantique de Jean Racine. Er hatte es mit 18 Jahren im Rahmen eines Kompositionswettbewerbs geschrieben. Doch dass Fauré hierfür den ersten Preis gewinnen würde, hätte vermutlich nicht einmal er selbst gedacht. Denn die Aufgabe lautete damals: Vertone das Gedicht von Jean Racine für Chor und Orchester. Fauré hatte bis zum Abgabedatum jedoch lediglich eine Fassung für Chor und Orgel geschafft – die wiederum in solch einer Exzellenz, dass die Kommission über ihre eigenen Regeln hinwegsah und ihm unter einer Bedingung den Preis verlieh: Fauré möge die Orchesterfassung nachreichen. Die Fassung, die heute erklingt, ist eine Mischung aus der damals entstandenen Fassung für Chor, Streichorchester und Orgel, einer späteren, nicht zweifelsfrei aus Faurés Feder stammenden Fassung für großes Orchester und wenigen Ergänzungen von Denis Rouger im Geiste Faurés.
Schließlich folgt der Höhepunkt des Konzertes: Faurés Requiem op. 48. Ein Requiem, das in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich anmutet. Uraufgeführt 1888 zeigt es sich in ganz schlichtem Gewand: ein 30-köpfiger Chor, geteilte Bratschen, Celli, Kontrabass, Solovioline, Harfe, Pauken und Orgel. Über die Jahre fügte Fauré immer mehr Instrumente hinzu, insbesondere Bläser und eine erste Geigenstimme, die einen klanglichen Gegenpol zu den dunklen Streichern bilden und so einen Gegensatz zwischen Himmel und Erde schaffen. Die letzte, größte Fassung mag nicht ganz dem ursprünglichen Wunsch Faurés entsprochen haben – hat er sie doch vor allem auf Drängen des Verlags geschrieben, für den großbesetzte Kirchenwerke lukrativer schienen –, doch der Grundgedanke, die musikalische Schlichtheit, bleibt bestehen. Nicht wie sonst häufig üblich das dramatische Dies Irae steht im Zentrum des Requiems, sondern bewusst nur dessen versöhnender letzter Halbvers Pie Jesu. Schlicht, mit der Stimme eines Knaben gesungen, erreicht das Requiem hier einen stillen Höhepunkt. Ähnlich mutet auch der letzte, engelhafte Satz In Paradisum an, der ursprünglich keinen traditionellen Teil der Totenmesse darstellte, sondern stattdessen aus den Exequien importiert war. Faurés Requiem will Hoffnung und Trost spenden. Kein jüngstes Gericht steht am Ende, nicht die Frage Himmel oder Hölle?, sondern das Leben im Paradies, für das Jesus am Kreuz sein eigenes gegeben hat.
figure humaine kammerchor
Denis Rouger, Leitung
14.05.2022: Evangelische Kirche Sulz am Necker
15.05.2022: Gedächtniskirche Stuttgart
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
Mein Gott, warum hast Du mich verlassen (Psalm 22),
MWV B 51 / Op.78/3 (1844)
Mitten wir im Leben sind MWV B 21 / Op. 23/3 (1830)
Samuel Barber (1910-1981)
Agnus Dei (1967)
Philippe Mazé (*1954)
aus « Trois chœurs mystiques » (2017):
1. Hymne (figure humaine gewidmet)
3. Prière
Frank Martin (1890-1974)
Messe für zwei vierstimmige Chöre a cappella (1922)
Felix Mendelssohn Bartholdy
(1809-1847)
Samuel Barber (1910-1981)
Philippe Mazé (*1954)
Frank Martin (1890-1974)
Mein Gott, warum hast Du mich verlassen (Psalm 22),
MWV B 51 / Op.78/3 (1844)
Mitten wir im Leben sind MWV B 21 / Op. 23/3 (1830)
Agnus Dei (1967)
aus « Trois chœurs mystiques » (2017):
1. Hymne (figure humaine gewidmet)
3. Prière
Messe für zwei vierstimmige Chöre a cappella (1922)
Das Sehnen nach Frieden zwischen Völkern und für jeden einzelnen Menschen ist seit jeher präsent und wird in der jetzigen Zeit, auch in unseren wohlbehüteten Kreisen, noch viel bewusster spürbar. Gerade in solchen Zeiten brauchen wir vor allem eines: Trost. Denn können wir vieles zwar nicht ändern, so können wir dennoch versuchen, Trost zu finden und zu spenden. Musik war, ist und wird dabei immer ihren ganz besonderen Anteil haben. Nicht nur bedarf sie keiner Worte, sondern kann uns in unserem tiefsten Inneren erreichen, wo sonst niemand, manchmal nicht einmal wir selbst, Einblick hat. Nicht umsonst haben Komponisten aller Zeiten Trost und Frieden häufig zum Zentrum ihrer Werke gemacht. Der Wunsch nach Frieden und die Suche nach Trost eint alle, unabhängig ihrer Nationalität oder Religion. Das Programm versucht, aus verschiedenen und doch ähnlichen Perspektiven auf diese Worte zu blicken und selbst Teil dieses Trostes zu werden. Mal beschreibt es den Weg vom Leid zum Trost, vom Schatten zum Licht, mal bleibt es bei einer einzelnen Emotion stehen, betrachtet sie oder versucht, mit ihr umzugehen.
Bereits die ersten beiden Stücke des Konzertes gehen mit dem Leid, das auf der Erde herrscht, auf unterschiedliche Weise um. Der 22. Psalm von Mendelssohn beginnt mit einem Hilferuf, der fast schon als Beschwerde anmutet. Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das Vertrauen in Gott scheint brüchig und auch die Hoffnung ist mehr Funke als tatsächliche Hoffnung. Greifbar wird sie erst in dem Gebet, das sich in der Mitte anschließt, und dem Lobpreis am Ende. Das anfängliche Leid wandelt sich in tiefes Vertrauen. Zwar wird der Mensch von seinem irdischen Leid nicht vollständig erlöst, kann aber durch Gott neue Hoffnung schöpfen und findet Trost.
Etwas subtiler bleibt der Trost in Mendelssohns Mitten wir im Leben sind. Das Leid des Menschen drückt sich hier unmittelbar in einem choralartigen Gebet aus. Es ist ein flehentliches Bitten, zugleich aber voller Hoffnung. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger barmherziger Heiland. Der Mensch muss seinen Weg zu Gott nicht erst finden, sondern betet bereits zu Beginn voll Vertrauen. Doch so groß das Vertrauen in Gott auch ist, so spürbar ist auch die eigene Verantwortung des Menschen. Der Mensch ist nicht abhängig oder die bloße Marionette eines göttlichen Wesens, vielmehr steckt in ihm eine schöpferische Kraft. Denn selbst wenn er sein Schicksal nicht ändern kann, so kreiert er für sich zumindest das, was er kreieren kann: Hoffnung. Diese erst lässt ihn zu Gott beten. Und mag sie durch Gott auch noch so bestärkt werden, kommt doch der erste Funken aus dem Menschen selbst. Anders als in Mendelssohns 22. Psalm folgt hier jedoch keine Erlösung.
Mit den beiden Werken Hymne und Prière von Philippe Mazé erreicht das Vertrauen in Gott seinen Höhepunkt. Zu keiner Sekunde wird das göttliche Wesen, seine Größe und Barmherzigkeit in Frage gestellt. Sogar das Leid selbst rückt in den Hintergrund, denn das Vertrauen ist so groß, dass die Erlösung unweigerlich kommt. Mazé bringt so in seiner ganz eigenen Klangsprache, die kaum von äußeren Strömungen beeinflusst ist, indirekt das zu Ende, was bei Mendelssohn unausgesprochen bleibt. Auch die schöpferische Kraft des Menschen ist bei Mazé gegenwärtig. Angetrieben von dem ureigenen Vertrauen macht sich der Mensch in Prière zu Maria auf, um bei ihr Trost und Schutz zu suchen.
Eine ganz andere Perspektive auf Frieden und Trost bietet Samuel Barbers Agnus Dei. Barber hatte das Stück zunächst 1938 als sein berühmtes Adagio for Strings komponiert und erst später, 1969, für Chor transkribiert. Die Musik erweckt eine solche Traurigkeit in uns, wie es kaum ein Werk vermag. Doch gerade in dieser Traurigkeit liegt das Tröstliche. Ähnlich wie eine Mutter, die ihr Kind wortlos zum Trost in die Arme nimmt, legt die Musik ihren ganz eigenen Mantel um den Zuhörer, nimmt ihn an die Hand und führt ihn ganz langsam wieder aus der Tiefe heraus – die Traurigkeit wandelt sich unmerklich in eine besondere Art der Geborgenheit, die weder Worte, noch Taten je geben können. Der Text, den Barber seiner Chorfassung hinzufügt, schmälert diese Geborgenheit keineswegs, vielmehr eröffnet sich hier eine zweite Ebene: eine Bitte. In ihrer Schlichtheit – musikalisch wie textlich – erweist sie sich als viel inniger als die Gebete Mendelssohns. In der Erinnerung an den Krieg sucht Barber mit wenigen Worten nur eines: Frieden.
Auch Frank Martins Messe ist ein Ruf nach Frieden. Sie entstand 1922 in einer Phase, in der die Eindrücke des Krieges in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig waren. Insbesondere Martins Agnus Dei, welches er erst vier Jahre später hinzufügte, spiegelt die Angst vor einem weiteren Krieg wider. Die gleichmäßigen, repetierenden Akkorde des zweiten Chores bergen etwas Bedrohliches in sich. Unaufhaltsam schreiten sie voran und lassen dabei keinen einzigen Schlag aus. Darüber entfaltet sich der erste Chor in einer ganz entgegengesetzten, melodischen Linie. Es ist eine Bitte nach Frieden – mal als leises Flehen, mal als lauter Hilfeschrei. Obwohl die Situation im zweiten Chor unausweichlich scheint, wird die Bitte ganz am Ende in den letzten Takten erhört. Das Unaufhaltsame Vorwärtsschreiten des zweiten Chores verstummt und findet Ruhe. Darüber entfaltet sich ein engelhafter Gesang, bis beide Chöre sich treffen und gemeinsam die letzten Worte des Konzertes sprechen: Dona nobis pacem!
figure humaine kammerchor
Katharina Schlenker, Klavier
Denis Rouger, Leitung
22.10.2022: Liederhalle Stuttgart
23.10.2022: Taborkirche Freudenstadt
12.11.2022: Passau
13.11.2022: Stiftskirche Mosbach
F. Mendelssohn (1809-1847)
Lieder „Im Freien zu singen“:
Herbstlied op. 48/6
Im Wald op.100/4
F. Hensel (1805-1847)
Schilflied (1846)
Im Herbste*
J. Brahms (1833-1897)
Quartette Op. 92
1. O schöne Nacht
2. Spätherbst
3. Abendlied
4. Warum
R. Fuchs (1847-1927)
Aus „8 Lieder a cappella“:
Mondaufgang op. 64/7
R. Schumann (1810-1856)
Lied op. 29/2
H. Wolf (1860-1903)
Verborgenheit*
Fußreise*
G. Fauré (1845-1924)
Automne Op. 18/3 * (Erstaufführung)
En sourdine Op. 58/2 * (Erstaufführung)
C. Debussy (1862-1918)
Aus „Trois chansons de Charles d’Orléans“:
Dieu, qu’il l’a fait bon regarder
Yver, vous n’estes qu’un villain
G. Fauré (1845-1924)
Prison Op. 83/11 * (Erstaufführung)
Rencontre Op. 21/2 * (Erstaufführung)
Toujours Op. 21/1 * (Erstaufführung)
H. Duparc (1848-1933)
La vie antérieure*
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
F. Mendelssohn (1809-1847)
F. Hensel (1805-1847)
J. Brahms (1833-1897)
R. Fuchs (1847-1927)
R. Schumann (1810-1856)
H. Wolf (1860-1903)
G. Fauré (1845-1924)
C. Debussy (1862-1918)
G. Fauré (1845-1924)
H. Duparc
(1848-1933)
* Bearbeitung für Chor Denis Rouger
Lieder „Im Freien zu singen“:
Herbstlied op. 48/6
Im Wald op.100/4
Schilflied (1846)
Im Herbste*
Quartette Op. 92
1. O schöne Nacht
2. Spätherbst
3. Abendlied
4. Warum
Aus „8 Lieder a cappella“:
Mondaufgang op. 64/7
Lied op. 29/2
Verborgenheit*
Fußreise*
Automne Op. 18/3 * (Erstaufführung)
En sourdine Op. 58/2 * (Erstaufführung)
Aus „Trois chansons de Charles d’Orléans“:
Dieu, qu’il l’a fait bon regarder
Yver, vous n’estes qu’un villain
Prison Op. 83/11 * (Erstaufführung)
Rencontre Op. 21/2 * (Erstaufführung)
Toujours Op. 21/1 * (Erstaufführung)
La vie antérieure*
Der Herbst ist eine bewegte Zeit. Die Tage werden kürzer, Menschen und Tiere ziehen sich in ihre Behausungen zurück, die Natur schläft ein. Vieles scheint seine Kraft verloren zu haben: Blätter fallen ausgetrocknet zu Boden – und doch strahlen sie etwas so Lebendiges aus. Ihre Farben leuchten weithin bunt und warm, hoffnungsfroh. Mitten in einer Jahreszeit, die sich dem Ende des Jahres, dem kalten und dunklen Winter, neigt, entsteht so eine ganz besondere Stimmung. Eine Stimmung, hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht, Melancholie und Hoffnung. Mit ihr beginnt eine Zeit des Nachdenkens, der inneren Ruhe, aber auch des Kraftschöpfens für den dunklen Winter. Viele Dichter der Romantik haben den Verlauf eines Jahres mit dem Lauf des Lebens verglichen. Der Herbst bildet die Stufe des Älterwerdens. Und auch wenn dem Älterwerden häufig eine gewisse Traurigkeit und Melancholie obliegt, so birgt es doch auch etwas Positives. Der Mensch wird sich seiner bewusst, entdeckt Dinge, die er früher nicht entdeckt hat – vielleicht nicht entdecken konnte. Beide Seiten des Herbstes – die Schöne wie auch die Traurige – finden ihren Platz im Programm.
Gleich zu Beginn vereint das Herbstlied von Felix Mendelssohn Bartholdy all diese Facetten in sich: eine rückwärtsgewandte Sehnsucht, Trauer, Ungewissheit ebenso wie neue Hoffnung. Steht der Wald hier noch mitten in den Wirren dieser Gefühle, wird er bei Im Wald zur reinen Ruheoase. Trauriger wiederum muten die Stücke von Fanny Hensel an. Mit Im Herbste erklingt zum ersten Mal in diesem Programm eine Bearbeitung von Denis Rouger. Das lyrische Ich ringt mit dem schmerzlichen Gedanken des Verlassenseins. Subtil spielt die Bearbeitung hier mit den Farben der einzelnen Stimmen. Ohne die Wärme und Geborgenheit der tiefen Stimmen beginnt der Sopran wie die Ranke auf der Mauerzinne und ebenso bleiben auch die Frauenstimmen in der letzten Zeile alleine übrig (dass du mir verloren bist). Nach und nach durchwandert das Programm gleichsam wie eine Reise die verschiedenen Gemütszustände des Herbstes. Brahms zelebriert die Schöne Nacht, beschreibt den grauen Nebel des Spätherbstes oder die Ruhe des Abends im Abendlied. Mit Verborgenheit von Hugo Wolf Lass, o Welt, o lass mich sein! wendet sich das Programm wieder mehr der Besinnung auf das eigene Innere zu – geborgen in schlichten, weichen Harmonien – und die Fußreise entführt den Hörer im wahrsten Sinne des Wortes „im musikalischen Wanderschritt“ in den goldenen, wonnigen Herbst.
Im zweiten Teil des Programmes folgen vier neue Bearbeitungen von Gabriel Fauré. Und ebenso wie im ersten Teil betrachten auch diese den Herbst auf unterschiedliche Art und Weise. Automne (Herbst) beschreibt eine zutiefst traurige Stimmung. Die tiefen, dramatischen Bässe des Klaviers bilden das prägnante Motiv und greifen zugleich den Text des Liedes vor. Wie bei Im Herbste von Fanny Hensel spielt die Chorbearbeitung hier dezent mit den Farben der einzelnen Stimmen. En sourdine (Gedämpft) lässt mit seinen Harmonien alles gedämpft wie durch einen Nebelschleier erscheinen – ein Vorbote des nahenden Impressionismus –, während in Toujours (Immer) die Wut als neue Stimmung dominiert. Mit Rencontre (Begegnung) schließlich wandelt sich das triste, melancholische Bild des Herbstes in die zärtliche Sehnsucht zweier Menschen, die fest daran glauben, sich, ohne sich gut zu kennen, gefunden zu haben. Die beiden Werke Claude Debussys in der Mitte des zweiten Teils scheinen auf den ersten Blick ein wenig aus der Reihe zu fallen. Verwendet Debussy doch eine ganz andere Klangsprache als beispielsweise Gabriel Fauré. Doch gerade diese impressionistischen Farben erinnern stark an die Pastellfarben, die der Nebel durch seinen grauen Schleier der gesamten Welt auflegt. Dieu, qu’il a fait bon regarder (Gott, schön hast du mein Lieb gemacht) beschreibt eine Sehnsucht nach der anmutigen Guten und Schönen. Gemeint ist hier jedoch nicht, wie man annehmen könnte, eine Frau. Vielmehr ist dies eine Allegorie für Frankreich, die Heimat des Dichters Charles d’Orléans, der im Hundertjährigen Krieg Jahrzehnte in England gefangen war. Mit La vie antérieure schließlich findet das Programm zurück zu dem Gefühl, das den Herbst am stärksten dominiert: der Wehmut nach Vergangenem. Vergessend, dass das Vergangene gleichsam schlummert, um im nächsten Jahr von Neuem wieder aufzublühen: wie die bunten Blätter der Bäume.
Franziska Klein
Schulprojekt
Das Besondere am figure humaine kammerchor ist, dass dem innovativen und kreativen Potential der jungen Sänger:innen eine Plattform gegeben wird. Die Organisationsstrukturen innerhalb des Ensembles sind durch eine hohe Beteiligung gekennzeichnet und auch auf künstlerischer Ebene ist das Angesicht (frz.: figure) jedes einzelnen Sängers sichtbar, weil sich künstlerische Leitung und Chor auf Augenhöhe begegnen. So entsteht eine Gemeinschaft, die flexibel, rücksichtsvoll und offen für Neuerungen ist. Eine dieser Neuerungen ist das 2021 ins Leben gerufene Schulprojekt des Chores. Denn ein weiteres Profil vieler unserer Sänger:innen ist die Musikpädagogik: Als Lehrerinnen und Musikvermittler sind sie an Schulen, Musikschulen, Theatern und Opernhäusern sowie Universitäten tätig und schaffen es, Musik aus der Perspektive künstlerisch aktiver Musiker zu vermitteln. So existiert über sie eine direkte Verbindung zur jüngeren Generation – den Schülerinnen und Schülern.
Das Schulprojekt nimmt dabei eine experimentell-künstlerische Beschäftigung mit dem Kunstlied in den Fokus.
Das diesjährige Projekt steht unter dem Titel „Herbstreise“. Eine Gruppe von Sängerinnen hat zu diesem Thema in den vergangen Monaten Unterrichtsmaterialien für die Schule erstellt und sie Lehrern verschiedener Schulen als Orientierung zur Verfügung gestellt. Die Unterrichtsstunden sind durch das Verbinden unterschiedlicher Sichtweisen (Chorleiter, Sänger, Musiklehrer) sehr vielseitig gestaltet und berühren die verschiedensten Bereiche des Musikerlebens und -gestaltens. Zu einzelnen Stücken des Repertoires wurden außerdem sogenannte „didaktisierte“ Arrangements angefertigt, die den Schülerinnen und Schülern das Musik- und Textverständnis erleichtern sollen und ihnen zugleich einen kreativen und intuitiven Zugang zu einer – für die meisten – fremden Musiksprache ermöglichen. Zentrales Element des Schulprojekts ist die Beschäftigung mit musikalischen und außermusikalischen Parametern des Kunstlieds, für die der Dirigent als Vermittler eine wichtige Rolle spielt. In einem Dirigierworkshop lernen die Schüler also, Lieder nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Sie besprechen, wie Klang verändert werden kann, welche Nuancen und Ausdrucksformen ein- und derselbe Klang annehmen kann und wie Gestik und Mimik diese Klänge steuern und beeinflussen können. Aus der Beschäftigung mit all diesen Paramenten erstellen die Schüler:innen schließlich eine Wunschinterpretation verschiedener Lieder, die der Chor – unter der Leitung verschiedener Schüler-Dirigenten – im Konzert aufführt. Außerdem tragen die Schülerinnen und Schüler ausgewählte Lieder gemeinsam mit den Sängern des Chores im Konzert vor.
Kathrin Schweizer